Burson – ein Wein, der ein Gebiet und seine Bewohner vereint

Kennst du den Burson?

Immer wieder wird die große Anzahl der italienischen Rebsorten und Weine als Reichtum für den gesamten Weinbau des Landes bezeichnet, auch wenn es uns Verbrauchern als ein schier unendliches Wirrwarr erscheint. Autochthone Rebsorten, wohin man schaut. Dass sie überhaupt überlebt haben, liegt oft einfach nur an der Liebhaberei oder Sturköpfigkeit eines Bauern, dessen Vorfahren die Sorte schon immer angebaut hatten und die diese Tradition hochhalten.

Im Örtchen Bagnacavallo (deutsch „Bade das Pferd“) ist diese Geschichte des Erhalts einer regionalen Rebsorte, der Longanesi-Traube eine ganz besonders kuriose.

Ein Schild mit Burson als Werbung für den Wein aus der Longanesi-Traube. Foto: Katrin Walter, simplywalter.biz
Der Schriftzug Burson mit Haken auf dem O ist der Spitzname der Familie Longanesi und gleichzeitig Name eines Weins der Gegend bei Ravenna in der Romagna. Foto: Katrin Walter – simply walter

Die Longanesi-Rebe

Die Longanesi-Rebe schlängelte sich einst an den romagnolischen Bäumen hoch und lebte mit ihnen in trauter Symbiose. Der Bauer kam zwar nicht an die hoch im Wipfel reifenden Früchte aber das wollte er auch gar nicht und ließ die Reben gewähren. Er hatte anderes im Sinn: Die reifen Früchte, die von August/September bis weit in den November hinein an ihr hingen, zogen Zug- und Singvögel an, mit denen der Bauer dann leichtes Spiel hatte. Fast paradiesische Zustände möchte man meinen, nur dass er die Vögel dann noch selbst braten musste, nachdem er sie, während sie sich an den süßen Trauben labten, einfach herunterschoss. Heute sind die Tiere geschützt und der Wein ebenso. Außerdem überlässt man die Trauben nur noch ungern den Vögeln, denn man keltert sie lieber zu einem Wein: dem Burson.

Wie alles begann

Und das alles haben wir Antonio Longanesi zu verdanken. Als er auf seinem Anwesen in Bagnacavallo die alte Eiche fand und die ebenso stattliche Rebe ohne Namen (damals). Aus ihr züchteten er und sein Bruder Pietro, der sich auf das Pfropfen verstandt, einige Stecklinge, veredelten sie und warteten auf die ersten neuen Trauben. Das Ergebnis war ein großer Erfolg. Die Longanesi-Traube, wie sie dann nach ihrer Zucht benannt wurden, ergab in der Untersuchung im Labor eine DNA, die sich von anderen italienischen, roten Trauben völlig unterschied.

Jemand nannte sie einmal scherzhaft „die Sauerkirsche der Ebene“; denn sie wächst im flachen Land der Provinz Ravenna und hat eine ziemlich frische Anmutung aber auch sehr viel Tannin. Doch mit der Zeit haben die Longanesis und die mittlerweile fast 20 anderen Weinbauern (nicht alle sind Abfüller) gelernt, aus der Longanesi-Traube einen üppigen Wein zu machen, der zwar frische aber auch warme und weiche Komponenten im Mund hat und deren Tannine heute samtig anmuten.

Antonio Longanesi: ein Leben für die Longanesi-Traube und den Burson-Wein. Foto: Katrin Walter - simplywalter.biz
Antonio Longanesi im Jahr 2013 mit 92 Jahren. Ein Leben für die Longanesi-Traube und den Burson-Wein. (Foto: Katrin Walter)

Longanesi oder Burson?

Dazu muss ich etwas ausholen und erklären, dass in der Gegend von Bagnavacallo fast jede Familie auf dem Land eine Art Spitznamen hat. Diese beziehen sich oft auf physische Anmutungen, wie zum Beispiel bei „Lurinzèn“ für den kleinen Lorenzo, auf Leidenschaften oder typische Eigenschaften der Menschen wie „Amador“ für eine Familie, die Liebhaber von irgendetwas sind. Und die Longanesis heißen eben „Burson“; das stammt von „borsa“, was Tasche bedeutet und das Synonym für Quasseltasche ist. Also hat Antonio Longanesi oder seine Vorfahren (der Vater Aldo oder der Großvater, der ebenfalls Antonio hieß) wohl gern etwas mehr geschwatzt als die anderen und darum diesen Übernamen verpasst bekommen oder auch wegen der Tatsache, dass sein guter Wein redseelig machte und alle von ihm schwärmten. Aber abseits aller Anekdoten ist Burson ein Synonym für die Longanesi-Traube aber auch der Name des Weins, der aus den Longanesi-Trauben entsteht.

Der patentierte Wein

Seit 1998 wird der Bursôn© produziert. Sein Name – von der Familie Longanesi großzügig und kostenlos dem Konsortium “Il Bagnacavallo” zur Verfügung gestellt – soll seine Typizität schützen. Aus diesem Grund wurde er  patentiert: sowohl der Name selbst für den Wein als auch der Schriftzug mit dem Haken über dem Buchstaben o. Man findet ihn auf jeder Flasche Bursôn© exakt gleich, auch wenn in unterschiedlichen Farben. Das Konsortium „Il Bagacavallo“ tat Gleiches auch mit einem Weißwein, dem Rambёla©, doch von dem sprechen wir vielleicht einmal in einem anderen Artikel.

Zwei Etiketten-Beispiel vom Burson. Foto: Katrin Walter, simplywalter.biz
Zwei Beispiele für die Etiketten des Bursôn©-Weins in der Version „Schwarzes Etikett“, der Variante mit angetrockneten Trauben. Es gibt auch noch die Version „Blaues Etikett“, eine leichtere Version des Burson. Foto: Katrin Walter

Die rote Traube mit der grünen Beere

Bei Longanesi handelt es sich um eine spät reifende Sorte. Geerntet wird sie erst ab Anfang Oktober. Ihre Reife kündigt die Traube selbst an. Sie behält – solange sie noch nicht geerntet werden will – oft noch eine grüne Beere an der Traube. Sobald diese letzte Beere ebenfalls reif (blau) geworden ist, wie die anderen, kann es mit der Lese meistens losgehen.

Die Traube ist kompakt und zylindrisch und wiegt im Durchschnitt 300 g. Erst seit 1997 wird Wein daraus gemacht und zwar ein sehr potenter. Von Beginn an hatte er bereits einen Trockenextrakt*** von 29,27 g/l, der heute bei ca. 42 g/l liegt. Die Rebe ist sehr vital und muss darum stark beschnitten werden, sonst produziert sie unendlich viel Wein: bis 35.000 kg pro Hektar. Die Regeln im Konsortium „Il Bagnacavallo“ lassen jedoch maximal 12.000 kg zu, also ca. nur ein Drittel davon.

Daraus entstehen zwei Weinarten: der Bursôn© mit blauem Etikett und der Bursôn© mit schwarzem Etikett. Für letzteren werden 50% der Trauben vor der Maische (Gemisch aus Most, Beerenschalen und Fruchtfleisch) für ca. 40 Tage getrocknet (gewelkt) und gehen erst dann in die Weinbereitung ein. Das Verfahren ist ähnlich wie beim Amarone aus dem Valpolicella, nur dass beim Bursôn© der Wein reinsortig ist; das heißt er besteht aus einer einzigen Rebsorte.

Tzpisch: die Longaresi-Trauben für den Burson mit einer noch grünen Beere. Foto: Katrin Walter, simplywalter.biz
Die Longanesi-Trauben für den Burson. Man sieht deutlich die grünen Beeren, die auf eine noch nicht abgeschlossene Reife hinweisen. (Foto: Katrin Walter)

Die Ausprägungen des Burson:

  • Bursôn© Blaue Etikett (mit ca. 40 % Kohlenstoff- oder Ganztrauben-Maischung (wie beim Beaujolais), anschließend reift der Wein im großen Holz)
  • Bursôn© Schwarze Etikett (aus mind. 50 % gewelkten Trauben, der Wein reift dann im großen Holzfass)
  • Schaumwein rosé brut (aus der Longanesi-Traube, bisher nur in der Martinotti-Methode)
  • Passito (aus getrockneten/gewelkten Longanesi-Trauben)
  • Grappa (aus dem Trester der Longanesi-Trauben)

Die Produktionsmengen des Burson sind nicht gewaltig. Produzierte man 1997 (dem ersten Jahrgang) nur 780 Flaschen, sind es heute schon 70.000. Das ist die Produktion aller Konsortiumsmitglieder auf heute 12 Hektar zertifizierter Fläche mit einem Potenzial von mehr, denn es gibt immerhin 200 ha mit der Longanesi-Rebe bestockt.

Um dieses Potenzial auszuschöpfen, bedarf es natürlich auch einer Markterschließung. Bisher läuft das ziemlich gut; man verkauft schon heute sehr gut in Italien und findet den Wein auch lokal in Restaurants und Vinotheken und sogar in Deutschland, den USA, Japan, China und der Schweiz.

Eine Stadt hält zusammen oder wie der Burson Identität und Gemeinschaft stiftet

Wie das so ist in kleinen Gemeinschaften, man weiß, dass man alle mitnehmen muss, wenn man weiterkommen will und darf nicht auf Kosten der anderen leben. Das Gute erkennen und weitersagen. Synergien nutzen, Identität stiften … das hat man hier einfach im Blut:

  • Die Restaurants haben die lokalen Weine mit Stolz auf der Karte.
  • Mit den Hefen des Burson-Weins wird leidenschaftlich ein helles Bier aus Gerste gebraut, das „Beerson“, das direkt in der Flasche fermentiert.
  • Ein Juwelier stiftet alljährlich einen goldenen Pferdekopf (das Logo des Konsortiums „Il Bagnacavallo“) an der Kette für den Gewinner des Wettbewerbs „ Bester Burson “.
  • Der „Duft von Bagnacavallo“ besitzt als eine Komponente auch ein paar Tropfen Burson.
Das Beerson Bier vergärt mit den Hefen des Burson. Foto: Katrin Walter, simplywalter.biz
Flaschengärung mit Burson-Hefen: Das Bier „Beerson“ gibt es seit 2013. (Foto: Katrin Walter)

Mit all diesen Maßnahmen wird der Name von Baganacavallo und Burson mit Leidenschaft in die Welt gerufen. Alle sind stolz auf den Wein ihrer Region. Und sogar der Hausschuh-Hersteller Emanuela hat neben seiner Fabrik eine Rebanlage mit Longanesi-Trauben. Der Chefönologe des Konsortiums, Sergio Ragazzini, macht auch für Elio Murì (Eigentümer von Emanuela) jedes Jahr einen neuen Wein. Den gibt es allerdings nicht zu kaufen; nur die besten Kunden bekommen einen „Murì“ zu Weihnachten. Und der ist jedes Jahr ein anderer: einmal ein Rosé, ein anderes Jahr ein Sekt, dann ein kräftiger Rotwein oder ein roter Passito.

So zeigt sich ganz nebenbei, dass die Vielseitigkeit der Longanesi-Trauben wirklich unerschöpflich ist, so wie die Kunst und das Wissen von Sergio Ragazzini, natürlich, der diese Traube bestens zu verarbeiten weiß.

Den Passito „Murì“, durfte ich übrigens verkosten und es war einer der besten Burson-Passiti, den ich bei meinem Besuch in der Romagna genossen habe. Warme Füße und warmer Bauch, dank Elio Murì, seinem Wein und seinen Hausschuhen, von denen jedes Jahr 700.000 Paar produziert werden, nun unter der Regie seiner Tochter. Könnt ihr erraten, wie Sie heißt?



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***Trockenextrakt (oder Gesamtextrakt) ist die Summe aller rund 8.000 verschiedenen Substanzen und Stoffe, die gelöst im Wein vorkommen und bei einer Destillation (Verdampfen) des wässrig-alkoholischen Anteils zurückbleiben. Er hat bei der qualitativen Weinbewertung eine wesentliche Bedeutung und besagt, ob ein Wein als extraktarm (dünn, flach, kurz) oder als extraktreich (vollmundig, körperreich = ab etwa 22 g/l) klassifiziert wird. Die Menge und die spezifische Zusammensetzung aller Stoffe ergibt die Struktur (Gerüst, Körper) und entscheidet über Aroma, Bouquet, Farbe, Haltbarkeit und seine Entwicklungsfähigkeit während der Flaschenreifung und damit letztlich über die Qualität des Weines. Ein Qualitätswein sollte zumindest 20 Gramm Gesamtextrakt per Liter aufweisen. (Auszug aus dem Glossar vom Autor, Norbert Tischelmayer)

 

3 Kommentare

3 Kommentare

  1. […] Für den dritten Tag der Nature Photo Challenge offerire ich eines meiner Fotos von reifem Wein in satten Weingärten. Es handelt sich um ein in 2013 geschossenes Foto einer Weintraube der Sorte “Longanesi”, das während einer Reise in die Emilia Romagna entstand. Nach diesem Trip schrieb ich auch den Artikel „Burson – ein Wein, der ein Gebiet und seine Bewohner vereint“, in dem die Longanesi-Traube ein Hauptrolle spielt. Wer Lust hat, kann diese Geschichte hier noch einmal lesen. […]

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