Wie der Müller-Thurgau in das Oltrepò kam

Das Logo der Azienda Agricola Montelio aus dem Oltrepò Pavese, von der La Giostra, der Wein aus Müller Thurgau stammt.
Das Logo der Azienda Agricola Montelio aus dem Oltrepò Pavese, von der La Giostra, der Wein aus Müller Thurgau stammt.

Müller-Thurgau im Verkostungspaket von Wein-Plus

Das Weinnetzwerk Wein-Plus nahm kürzlich einen Wein aus einem noch eher unbekannten Gebiet, dem Oltrepò Pavese, in sein Verkostungspaket „Sommer (III/2014)“ auf und dann auch noch aus einer nicht gerade typischen Rebsorte für das Oltrepò: dem Müller Thurgau. Das nahm ich zum Anlass, um bei Giovanna Brazzola (der Besitzerin zusammen mit ihrer Schwester Caterina) von der Azienda Agricola Montelio nachzufragen, wie es zu diesem ungewöhnlichen Wein kam.

Wein-Plus schrieb in seiner Ankündigung:

2011 Müller-Thurgau „La Giostra“ Provincia di Pavia IGT, Lombardei, Az. Agr. Montelio
Müller-Thurgau kennt man hierzulande eher als Sorte, die überwiegend wenig anspruchsvolle und kaum lagerfähige, im besten Fall saubere, leichte und süffige Weine hervorbringt. Lediglich in Franken und am Bodensee wird dem Müller mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt geschenkt. In Norditalien ist das völlig anders. Hier gilt der Müller-Thurgau allgemein als wertvolle Sorte, aus der mitunter ungewohnt spannende Weine erzeugt werden. Ein Beispiel ist der La Giostra von Montelio, der sogar einer der Spitzenweine des Betriebs ist: teilweise im Holz ausgebaut, fest, kraftvoll, mit Schmelz und Griff.“

… darum fragte ich (KW) genau dies auch Giovanna Brazzola (GB)

Montelio im Interview

KW:  Aus Müller Thurgau macht man normalerweise ziemlich leichte und liebliche Weine für den kurzfristigen Verbrauch. Eurer Wein ist vollkommen anders.

GB: Der Betrieb produziert seit vielen Jahren zwei stille Weißweine, die jung zu trinken sind, einen Cortese (aus dem auch der Gavi besteht) und einen Riesling. Dazu gesellte sich in den 50er Jahren der Müller Thurgau. Den Anstoß, den Schritt zu wagen, einen Wein mittels Kaltmaische, sowie Gärung und Reifung im Holz zu produzieren, entstand aus dem Wunsch, ein Produkt mit kräftiger Struktur und Komplexität sowie einer längeren Lebensdauer zu produzieren. Der Müller gab uns, unter den Trauben, die im Betrieb vorhanden waren, die beste Garantie für ein gutes Gelingen, auch wegen des Wissens um die Tradition der Weinbereitungen, die wir von unserem Großvater überliefert bekamen, der diese Rebsorte 1951 zum ersten Mal hier im Oltrepò Pavese angebaut hatte.

Die Rebanlagen von Montelio im Oltrepò Pavese vwerden vom sogenannten "Café House" dominiert, das direkt auf der Hügelkuppe steht
Die Rebanlagen werden vom „Café House Montelio“ dominiert, so wurde die kleine sechseckige Struktur aus dem 19. Jahrhundert genannt, die sich auf dem Gipfel des Hügels befindet und von dem aus man an klaren Tagen ein 360° Panorama bewundern kann und bis zu den Hügeln im Monferrato, dem Dom von Pavia und die umliegenden Alpen sehen kann.

Müller-Thurgau im Oltrepò Pavese

KW: Kannst du uns mehr darüber erzählen? Wieso baute der Großvater damals gerade Müller Thurgau an?

GB: Weil er das in Frankreich gesehen hatte. Nach seiner Rückkehr von einer Reise dorthin musste er einen Weinberg anlegen mit der Neupflanzung von 31.000 Rebstöcken. Und es sollte unbedingt diese Neuheit, Müller Thurgau sein aber es war schwierig an die Rebstöcke heranzukommen.

Unser Großvater, der Ingenieur Roberto Sesia, wandte sich damals zuerst an die im nahen Broni ansässige Pflanzenvertriebsfirma Bardoni, die jedoch nur ein knappes Kontingent hatte und ihm die Pflanzen nicht verkaufte. So schrieb Roberto eben an seinen Cousin Francesco Tullio im Friaul, um wenigstens ein paar Rebstöcke zu erhalten, denn er war der Inhaber einer Gärtnerei in Aquileia, im Friaul.

Im Betrieb verwahren wir noch immer den Brief, den Roberto im November 1950 an seinen Cousin geschrieben hatte. Unser Großvater bat ihn damals um 500 Rebstöcke Müller Thurgau. Im Brief bezieht sich Roberto auf die kürzlich unternommene Reise nach Frankreich, auf der er „sehr interessante Dinge gesehen habe, sowohl was die Anlage der Rebflächen als auch deren Kultivierung und Mechanisierung betrafen …“. Auch der Antwortbrief befindet sich noch in unserem Besitz, in dem Francesco mitteilt: „Ich gebe sofort den Auftrag, an die Firma Bardoni aus Broni 500 Rebstöcke Müller Thurgau der ersten Wahl zur Verfügung zu stellen.“ Und so nahm die Geschichte doch noch ein glückliches Ende.

Auszug aus dem Originalbrief von 1950 in der Handschrift des Großvaters Roberto Sesia an seinen Cousin Francesco Tullio.
Auszug aus dem Originalbrief von 1950 des Großvaters Roberto Sesia an seinen Cousin Francesco Tullio.

KW: War dein Großvater der Erste im Oltrepò Pavese, der Müller Thurgau angebaut hatte?

GB: Ja, war er, vorher baute niemand diese Rebsorte an und auch heute gibt es nur sehr wenige.

KW: Welcher Wein wurde anfangs aus den Trauben gekeltert?

GB: In den 50er und 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts erntete man die Trauben des Müller Thurgau spät. Sie wurden dann entrappt und gepresst und der Most blieb für 20 Stunden im Kontakt mit den Traubenschalen. Die anschließende Gärung erfolgte in Fässern aus slawonischem Holz von 25 Hektolitern, die im unterirdischen Weinkeller bei konstanter Temperatur von 15 bis 16 Grad Celsius lagerten. Der gewonnene Wein wurde im folgenden Frühjahr in den Handel gebracht und hatte normalerweise einen Alkoholgehalt von 13,5 bis 14 Volumenprozent und eine Säure von 5,5 g/l.

Der Wein aus Müller Thurgau: La Giostra

KW: Und wie entstand „La Giostra“?

Der Wein „La Giostra“ entstand aus dem Wunsch den Wein wieder so anzubieten, wie es ihn schon einmal gab. Dieses Vorhaben wurde natürlich begünstigt durch die neue Kältetechnik, die wir uns zulegten. Dadurch hatten und haben wir die Sicherheit, die einzelnen Schritte und Operationen in aller Ruhe durchführen zu können, auch mit längeren Verweilzeiten: Die Maische auf den Traubenschalen dauert zwischen 18 und 24 Stunden bei 5 Grad Celsius. Da die Aromen in der Schale sitzen und der Müller Thurgau eine aromatische Sorte ist, respektiert und garantiert dieses Vorgehen die Originalaromen, die sich dann im Duft und Geschmack des Weins wiederfinden. Die Gärung im Tonneau von 500 Litern und die darauffolgende Reifung im französischen Holz für 6 bis 7 Monate begünstigt ebenfalls die Komplexität. Darauf folgt eine Assemblage im Stahltank und die Abfüllung im Frühjahr des folgenden Jahres in die historische Flasche des Betriebes, der „Anadima“, die seit 1998, dem 150. Jahrestages der Firmengründung, reproduziert wird.

Links: La Giostra, der Müller-Thurgau-Wein in der typischen Anadima-Flasche. Rechts: Caterina und Giovanna Brazzola an ihrer historischen Presse. Das große M steht für Montelio.
Links: La Giostra in der typischen Anadima-Flasche. Rechts: Caterina und Giovanna Brazzola an ihrer historischen Presse. Das große M steht für Montelio.

KW: Und wie kam der Name des Weins zustande?

GB: Den Namen „La Giostra“ verdankt der Wein dem gleichnamigen Weinberg, in dem seine Trauben kultiviert werden. Und der Weinberg wurde so getauft, weil sein vorheriger Besitzer mit dem Spitznamen „il giustroun“ (das Karussell) bedacht wurde, weil er seine Arme längst am Körper hielt und sie sich beim Gehen so bewegten, wie bei einem Karussell die Ketten.

KW: War es euer erster Wein mit Maische auf den Traubenschalen oder habt ihr bereits mit anderen Rebsorten oder Weinen experimentiert?

GB: Traditionell wurden hier einst auch die Weißweine im Kontakt mit den Traubenschalen vergärt. Natürlich ist der Müller Thurgau der, der am meisten davon profitiert, weil er eben – wie bereits gesagt – aromatisch ist.

KW :Wie definiert ihr diesen Wein?

GB: Leuchtend, von intensiver strohgelber Farbe mit goldenen Reflexen. Intensiv in der Nase mit guter Aromenfülle und dem Duft nach Banane, Konfitüre und leicht nach Harz. Füllig am Gaumen, ausgewogen und samtig, mit langem Abgang. Übrigens, diese Anmutung reifer Bananen findet man in Weißweinen und Weinen mit Ganztraubenmaischung (Novelli), was auf ein bestimmtes Ester zurückzuführen ist, welches sich während der Weinbereitung bei tiefen Temperaturen bildet und die anaerobe* Fermentation aromatischer Sorten bestimmt.

KW: Und wie kombiniert ihr ihn?

GB: Wir genießen ihn zu fettreichem Fisch, zu Meeresfrüchten, ersten geschmacksintensiven Gängen, wie zum Beispiel Trenette mit Pesto und zu jungen, jedoch charaktervollen Käsesorten. Aber dazu möchte ich noch eine Referenz anfügen …

KW: Bitteschön.

GB: In einem Buch aus dem Jahr 1984 beschrieb der Autor Federico Melis über unseren Müller Thurgau, der damals noch nicht „La Giostra“ hieß aber ebenfalls mittels langer Maischestandzeiten produziert wurde, wie folgt. Ich zitiere: „Bei den Weinverkostungen scheut man sich heute vor der Darreichung bestimmter Gerichte, wie denen mit Eiern, vor allem vor Omeletts (frittate). Das Ei ist eine Speise, die man lieber meidet, weil die beunruhigt wegen ihrer Wirkung auf den Magen und wegen der Erhöhung des Cholesterins. Nun gut, ein trefflich kombinierter Wein kann zum großen Teil oder sogar komplett den toxischen Effekt des Eies aufheben und der Stoffe, die bei der Zubereitung entstehen, bis hin zu denen, die sich beim Frittieren entwickeln. So habe ich zu einem Omelett mit Zucchini, mit Erbsen oder mit Artischocken eine wunderbare Ergänzung in den Weißweinen aus dem Oltrepò gefunden und speziell in dem aromatischen Müller Thurgau von Montelio.“

KW: Vielen Dank für all diese Hintergrundinformationen zu La Giostra und der Geschichte, wie der Müller Thurgau in das Oltrepò kam. Ich hoffe nun, dass auch der Stammtischkreis bei Wein-Plus euren Wein zu schätzen weiß.

Kontakt: Azienda Agricola Montelio di C. e G. Brazzola
Via Domenico Mazza 1 – 27050 Codevilla (PV) Italia
T +39 0383 373090 – F +39 0383 373083 – www.montelio.it

*unter Luftabschluss, ohne Sauerstoff


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Fotos: Azienda Agricola Montelio

 

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4 Kommentare

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  1. Hallo Katrin,
    danke für den Artikel, die interessanten Fragen und
    wieder hast Du es geschafft,
    dass ich am liebsten sofort den La Giostra kosten möchte.
    Viel Erfolg weiterhin
    für die sympathischen Schwestern Caterina und Giovanna Brazzola mit ihrem Weingut Montelio
    und natürlich auch für Dich
    Mit besten Grüßen
    MaJo

  2. Eine schöne Flasche Wein und nett anzuschauen.
    Auffällige Flaschenformen sollen (vielleicht manchmal) über einen gewöhnlichen Inhalt hinweg täuschen.
    Nicht so bei dem kredenzten „La Giostra“.
    Ein Müller-Thurgau aus Italien muss selbst einem weniger versierten Weintrinker – wie ich einer bin – zumindest von der Herkunft merkwürdig vorkommen.
    Wir haben die Flasche geöffnet und einen tollen bernsteinfarbigen Weißwein in die Gläser fließen lassen (Eingießen wäre ein unangemessener Begriff). Ein wenig gewartet, dann das Glas leicht bewegt und die von der Glaswand herunterlaufenden „Beine“ (so nennt man diesen Effekt bei Whiskey) bewundert.
    Im Gegensatz zu den oftmal sehr rauh ausgebauten MT aus Deutschland haben wir einen milden und sehr feinen fruchtigen Wein genießen können.
    Danke für die tolle Flasche Wein.
    Falls da noch was ist ….
    LG

    1. Danke Jalapeno für deinen Kommentar. Und bitte für den Wein.

      Viele Weingüter füllen ihre hochwertigeren Weine entweder in einer hochwertigeren Flasche ab oder haben ein anderes Etikett als für den Alltagswein. Allerdings sind bei guten Winzern auch die sogenannten Einstiegs- oder Alltagsweine von hoher Qualität und nicht zu vergleichen mit dem, was einem in so manchen Supermarkt und in Bag-in-Boxes oder Tetrapacks angeboten wird.

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